Als die Meldung zum Candy B. Graveller reinrauscht, häng ich in einer Räuberkneipe am Kölner Eigelstein. Ich nippe an einem Mexikaner. Neben mir die Kollegen Dirk und Frank. Wir haben den 9. Januar, Montagabend. Eigentlich nicht unser klassischer Kneipentag. Aber an jenem Montag waren die verehrten Kunden geschlossen aus dem Weihnachtsurlaub zurückgekommen und ebenso geschlossen hatten sie ihre über die Weihnachtstage entstandenen Ideen wie auf einer Müllhalde bei uns abgekippt Anliegen platziert. An diesem Tag brauchte es einfach einen strukturierten Absacker. Nun ja, es gibt Schlimmeres für einen Selbstständigen.
Allein schon die Gestaltung des Candy B. von Bernd Hallmann macht Lust auf die Teilnahme …
Jedenfalls war der Link zur Website vom Candy B. Graveller auf einmal bei Facebook. Gunnar Fehlau, Fahrradjournalist mit Wikipedia-Eintrag und Fahrrad-Hans-Dampf, hatte ihn gepostet. Fasziniert beginne ich zu lesen: „ … 550 km von Frankfurt nach Berlin, eine Etappe, keine Zeitnahme, Bikepacking-Abenteuerfahrt im Selbstversorger-Modus (siehe Kodex) entlang des Flugkorridors der Berliner Luftbrücke … “ Ich wende mich an Dirk und Frank: „Jungs, wie sprechen morgen weiter über die Jobs, ich bring da erst mal Ordnung rein“ murmele ich. „Und ich muss auch gerade mal, was Wichtigeres machen.“
Die Grenzsteintrophy für den kleinen Mann
Und schon sitze ich da und tippe meine Anmeldung. Das Fahrerfeld ist nur auf 69 Teilnehmer begrenzt. Morgenfrüh, wenn nicht schon heute Nacht, sind bestimmt alle Plätze weg. Und jetzt fällt mir auch ein, Gunnar hatte zu diesem Event im Podcast bei den Jungs von fahrrad.io auch schon Andeutungen gemacht: Die Grenzsteinstrophy für den kleinen Mann sozusagen, den Einsteiger, der sich mal an einer Mehrtagesfahrt versuchen will. Ganz passt mir diese Charakterisierung zwar nicht, denn ich will ja die großen Dinger fahren.
Ich muss ’ne Begründung schreiben, warum ich am Candy B. Graveller teilnehmen möchte … und spenden soll ich, einen beliebigen Betrag, an eine von fünf Organisationen, die zur Auswahl stehen. Ich wähle Care Deutschland-Luxemburg e. V., weil die einen Paypal-Account haben. Das geht ganz bequem mit dem Handy. Ich mache einen Screenshot, den ich der E-Mail-Anmeldung anhänge.
Seit der Spende bei Care erhalte ich nun regelmäßig Newsletter per Mail. Da hab ich wohl irgendwo ne Checkbox übersehen. Nur weil ich einmal gespendet habe, will ich nicht automatisch einen Newsletter :-/ Und sogar ein gedrucktes Mailing bekomme ich nach Hause geschickt. Ziemlich aufwändig produziert, wie ich finde. Dahin wandert also Dein Geld, ist mein erster Gedanke. Der Gipfel: Care ruft mich sogar auf meinem Handy an. Ich würge die Dame sofort ab. Nein, danke überhaupt kein Interesse, wirklich nicht. Hätte man mich vor meiner Spende nach dem Image von Care gefragt, hätte ich gesagt, gut, positiv. Jetzt fällt mir bei Care als erstes nervige Drückerkolonne ein. Auch so kann man seinem Image schaden.
Candy B. Graveller – eine Tour mit Geschichte
Die Begründung zur Teilnahme tippe ich schnell runter. Mir gefällt die Idee, sich von einer Geschichte leiten zu lassen, wie Harald es in seiner Anmeldung treffend formuliert hat. Meine Großeltern haben mir viel von der Luftbrücke und den Rosinenbombern erzählt. Als Kind mochte ich die Briefmarken in meiner Sammlung, die an die Berliner Luftbrücke erinnerten. Wie hatte ich mir das vorzustellen mit dieser Luftbrücke? Da war etwas, was man nicht sehen konnte, aber dennoch da war … Na klar, natürlich will ich auf diesen Spuren fahren. Und das Bild der Brücke als solches mag ich sowieso, verbinden und überbrücken, statt trennen und abschotten, erst recht in diesen Zeiten. Keine halbe Stunde nachdem die Meldung online war, ist meine Anmeldung raus. Das sollte hoffentlich reichen.
Schon am anderen Morgen im Zug auf dem Weg nach Köln erreicht mich eine E-Mail von Gunnar, ob ich noch ein Bild von mir schicken könne. Das hatte ich am Abend zuvor in der Hektik, dass die Startplätze weggehen wie warme Semmeln, vergessen. Gut, dass hier kein Bürokrat am Werke ist, denke ich noch: Ihre Anmeldeunterlagen waren nicht vollständig, daher können wir Sie leider nicht berücksichtigen … Als ich ihm das Bild nachreiche, habe ich das Gefühl, dass ich an etwas Großem, ganz Besonderem teilnehmen werde …
Am frühen Nachmittag, genau um 14.14 Uhr poppt mein Facebook-Messenger mit einem Link auf. Es ist Harald aus Hamburg, mit dem ich dieses Jahr LEL bestreiten will. Mit einem anderen Fahrer werden wir beiden als Fahrer Nr. 2 und 3 im Blog des Candy B. Graveller präsentiert. Yeah!
Feine Mitstreiter kommen hinzu
Noch ist recht viel Zeit bis zum Start des Candy B. Erst Ende April, am 28.04. um 18.00 Uhr soll es in Frankfurt losgehen. Damit verschwindet er erst einmal aus meinem unmittelbaren Bewusstsein. Ab und zu werfe ich einen Blick auf die Homepage des Candy B. Graveller und schaue mir die Einträge zu den neuen Fahrern an. Die Startplätze gehen dann doch nicht so schnell weg, wie ich es erwartet habe.
Anfang März wird es dann wieder konkreter. Nur noch acht Wochen bis zum Start. Auf der Berliner Fahrradschau treffe ich neben Gunnar Fehlau erstmals vis-à-vis zwei meiner Lieblingsblogger, Eva und Jochen. Beide überlegen, ebenfalls am Candy B. Graveller teilzunehmen. Unser Treffen dort gibt wohl den entscheidenden Impuls. Denn nur wenig später finde ich beide in der Fahrerliste des Candy B.
Im Austausch mit Eva und Jochen
Die Zeit fliegt auf einmal dahin, noch vier Wochen bis zum Start, noch zweieinhalb Wochen … Eva schickt via E-Mail die Frage, wie wir es mit der Übernachtung halten werden. Sind ja „nur 550 km“, ich will eigentlich durchfahren und wiederhole damit nur, was ich schon auf der Fahrradschau gesagt habe.
Kurz nach Ostern kommt dann der offizielle Track, es sind nicht 550 km, sondern 640 bzw. zum Schluss in der korrigierten Version sind es dann sogar 659 km. Na ja, dann eben 659 km, auch die kann man an einem Stück durchfahren, wenn man ein bisschen beißt. Ich armer, kleiner, irrer Straßenfuzzi, ich denke Asphalt … Das Ding heißt aber Candy B. GRAVELLER … und Gravel bedeutet, dass man an Untergrund alles erwarten muss außer eben Asphalt.
Die Drähte laufen heiß. Wir drei tauschen uns intensiv aus. Wieviel und was an Gepäck, Schlafsack ja oder nein, oder doch lieber Übernachtung im Hotel, wie macht man das mit Garmin und dem Track (O-Ton: „Ich kämpfe mit dem Garmin* und hätte da mal ein paar Fragen …“ steht in einer E-Mail), wie seid ihr lichttechnisch aufgestellt und und und …
Jochen prognostiziert in einer seiner Nachrichten einen Schnitt von 15 km/h. Verdammt langsam, finde ich. Aber ich komme ins Grübeln. Wenn ich so überlege, könnte er damit recht haben … Aber weiter denke ich nicht! Zu der einfachen Transfer-Leistung, was 15 km/h bedeuten, wenn ich 24 Stunden ununterbrochen(!) durchfahre, kommt es bei mir nicht. Vielleicht liegt das an meiner notorischen Rechenfaulheit. 360 km hätte das Ergebnis dieser kleinen Rechenaufgabe geheißen, an dem ich hätte sehr viel ablesen können … (Insider: Beim Thema Rechnen muss ich auf einmal an den „Coach“ denken).
Keine Zeit für nichts
Noch vier Tage. Wir haben Montag. Am Freitag um 11:52 Uhr werde ich im Zug nach Frankfurt sitzen, denke ich kurz. Aber nur kurz, denn ich gehe unter vor Arbeit. Eine Schulung am Donnerstag habe ich kurzfristig aufs Auge gedrückt bekommen, die will vorbereitet sein. Eine Liste mit Dingen, die ich für den Candy B. brauche schwirrt durch meinem Kopf. Zu Papier bringe ich sie nicht.
Am Mittwoch meldet Harald sich abends, dass die Aufregung langsam bei ihm steige. Ach ja, am Freitag ist es ja schon soweit. Doch für Aufregung hab ich noch keinen Kopf. Morgen ist erst die Schulung und dann kann ich irgendwann abends packen. Die Kette an meinem Rad muss ich auch noch wechseln. Irgendwann zwischen drei und vier morgens in der Nacht von Donnerstag auf Freigag bin ich fertig. Zum Glück komme ich recht gut mit wenig Schlaf aus.
Sehr spät, irgendwann zwischen drei und vier morgens in der Früh, ist mein Rad endlich fertig gepackt und auch die Kette hab ich noch gewechselt.
Um sieben klingelt der Wecker, denn um neun Uhr hab ich noch zwei interne Meetings in der Agentur. Warum muss es vor solchen Aktionen immer nur so kumulieren? Von meinem ursprünglichen Plan mit dem Rad nach Köln zu fahren, verabschiede ich mich; so kann ich noch ein bisschen länger schlafen. Ich packe mein Fahrrad ins Auto. Gequälte 50 Minuten dauern die 28 km in die Agentur. Wäre ich doch mit dem Fahrrad gefahren …
Die beiden Meetings bringe ich hinter mich. Um 11:52 Uhr bin ich tatsächlich im IC nach Frankfurt. Ich sitze auf dem Fußboden des Fahrradabteils. Sicherheitshalber stelle ich mir den Wecker meines iPhones. Dann nicke ich weg …
*Apropos Garmin …
… der Garmin Edge 1000 hat mich und Eva, die sich kurz vorher auch noch so ein Gerät zugelegt hat, sehr gut und zuverlässig nach Berlin gebracht. Die Navigation mit dem Gerät hat unter dem Strich sogar Spaß gemacht. Wir haben den Weg prima gefunden.
Aber liebe Garmin-Leute, warum gibt es nur diese unsägliche Software Garmin BaseCamp? Die kann einem das ganze Gerät vergraulen Auch ich bin zunächst diesen schrecklichen Umweg über diese Software gegangen, die user-unfreundlicher nicht sein könnte. Zum Glück bekam ich von @thinkslowly via Twitter den Hinweis, dass es dieses schlecht programmierte Machwerk gar nicht braucht. Einfach die gpx-Datei in den Ordner New Files und die Strecke ist auf dem Gerät … Ich möchte nicht wissen, wieviel User sich unnötigerweise damit rumschlagen.
Ha, Basecamp…. hat mich auch ziemlich genervt. Vor allem, als ich später den Track bearbeiten wollte. Also einfach teilen und umbenennen… um dann die Schnipsel zu Strava zu übertragen. Was habe ich gelacht, als ich den Befehl ‘zu Garmin Connect exportieren’ ausprobierte und dann feststellen musste, dass das schlicht und ergreifend nicht funktioniert. Auf Nachfrage bei Garmin (vllt. bin ich ja einfach zu doof), wurde mir dann auch bestätigt, dass das so nicht geht.
Ach so, wann kommt Teil 2?
Uuh, noch ein BaseCamp-Opfer … Ich versteh Garmin da wirklich nicht, Bernd. Sie tun sich damit keinen Gefallen. Teil 2 folgt im Laufe der Woche.
Bin gespannt auf die Fortsetzung und Deine Sicht der Tour 🙂
Prima, mal ein anderer Ansatz für den CBG-Bericht. Gefällt mir. Ich bin ebenfalls schon gespannt auf den nächsten Teil. Danke fürs Schreiben!
Hallo Joas, klasse geschrieben – so richtig aus dem Leben… Und zum Thema “Basecamp”. Bei Garmin sind offensichtlich die Hardwarespezialisten getrennt von denen, die die Software basteln. In meinen mittlerweile 15 jähren Garmin-Erfahrung mit allen Geräten, von Etrex bis Oregon, muss ich leider bestätigen: Die Software ist höchst bescheiden, wenig nutzerfreundlich, wenig aktuell. Auf diesbezügliche Kritik hin tat/ tut sich bei Garmin wenig. Was bleibt: ich freue mich über die Zuverlässigkeit vom Oregon 650.
Bin gespannt, wie Du den Candy erlebt hast.
all the best
Dietmar
Na endlich. Das ist jetzt nochmal eine Stimme, die im Chor der Candy-Bardinnen und -Barden bisher gefehlt hat – und die einen bösen Verdacht in mir keimen lässt, da auch ich (und einige andere mehr) beruflich vorher/nachher schwer eingespannt war: Der Stress war integraler Teil des Candy, da hat Gunnar seine Finger drin (aber: wie hat er das nur gemacht?) … 😀
Deine CARE-Beobachtung ist interessant, ich habe auch an CARE gespendet, und gut war’s – kein Nachspiel, nichts.
Bin neugierig, wie’s weitergeht, Joas.
Oh, das mit Care wundert mich ja nun etwas. Wie gesagt, vielleicht hab ich auch irgendwo eine Check-Box übersehen, dass ich keine Newsletter wünsche, wobei bei der paypal-Bezahlung war definitiv nichts, da ja extern. Hab Deinen Kommentar jetzt zum Anlass genommen, mich bei deren eNews abzumelden.
Liebe Joas Kotzsch, lieber Jochen Kleinhenz, liebe Candy B. Graveller,
wir freuen uns unglaublich, dass Ihr mit Eurer Candy B. Graveller Aktion die Hilfsprojekte von CARE unterstützt habt. Wir waren ja bei Eurem Start in Frankfurt dabei. Nicht vorzustellen, was Ihr unterwegs geleistet und erlebt habt! Vielen Dank nochmal an Euch für diese tolle, einzigartige Aktion und die damit verbundene Unterstützung auch unserer weltweiten Hilfsprojekte in Hunger-, Kriegs- und Krisengebieten.
Wir können ganz problemlos sofort für Euch eine Informationssperre hinterlegen. Bitte sendet dazu einfach eine kurze Email an spenden@care.de und Ihr werdet sofort für die Bereich, die Ihr wünscht, ausgetragen.
Liebe Grüße und wie war das noch: Immer Kette rechts?
Das wünscht Euch bei allen Touren
Euer CARE-Team
Bin auch gespannt auf Teil 2 🙂
Was ich aber nicht verstehe ist das Basecamp Bashing. Hab dazu mal meine Erfahrungen aufgeschrieben:
https://www.martelli.de/garmin-basecamp/
Hallo Mario,
na ja, wenn es mir nur darum geht, den Track nachzufahren und ich ihn per Drag&Drop aufs Garmin bekomme, weiß ich nicht, warum ich ihn überhaupt in BaseCamp öffnen sollte. Intuitive, userfreundliche Software sieht für mich anders und ich hab beruflich ziemlich viel mit diesen Dingen zu tun, soll heißen ich bin nicht gerade ein Anfänger, was das Thema angeht. Im Moment verspüre ich keine große Lust, BaseCamp noch mal auszuprobieren, aber ich werde Deine Hinweise im Hinterkopf behalten 🙂
Um lediglich einen Track auf’s Garmin zu bekommen, ist Basecamp sicher nicht das richtige Tool.
Könnte es sein, dass das “nicht intuitiv” bzw. “userunfreundlich” auf fehlendes Domänen-Know-How zurückzuführen ist? Zumindest geht es mir immer so wenn ich Software mir fremder Domänen benutze.
Man muss bedenken, dass es sich hier um kommerzielle Software handelt die kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. Was ich befürchte ist, dass wenn alle auf Garmin einschlagen, könnten die sich veranlasst sehen die App abzukündigen. Zur reinen Benutzung der Garmin-Geräte ist Basecamp nicht notwendig. Will meinen: die würden genauso viele Geräte verkaufen auch wenn es kein Basecamp gibt.
Ich glaube wir werden hier das selbe Phänomen erleben wie bei Apple Aperture. Da wurde eine domänen-spezifische Software der breiten Hobby-User-Masse zur Verfügung gestellt (hier nicht kostenfrei, aber im Vergleich sagenhaft günstig) und eben diese Hobby-User haben dann solange auf Apple mit den Argumenten “userunfreundlich” und “nicht intuitiv” eingeschlagen bis es letztlich abgekündigt wurde.
Das für mich schlimme – und deswegen auch mein Engagement – ist, dass es für Basecamp am Markt nicht wirklich eine Alternative gibt.
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