Die Digitalisierung hat auch beim Radfahren Einzug gehalten und bringt teils große Veränderungen mit sich. Wenn man in den letzten Jahren auf der Rolle trainiert hatte, trug man einfach „Rollentraining“ mit der jeweiligen Zeit ein, die man dort verbracht hatte. Je nach Typ dokumentierte man dies entweder klassisch analog auf Papier, digital auf dem Rechner, der Smartphone App oder in Online-Portalen wie Endomondo oder Strava.
Dies hat sich in den letzten Monaten deutlich verändert. Einen Eintrag wie „Rolle 2 Stunden“ sucht man mittlerweile vergeblich. Stattdessen sind Einträge wie im Bild unten an der Tagesordnung: Zwift – Watopia … is the name of the game.
Zwift, BKOOL & Co. mit Funfaktor
Zwift ist eine Online-Plattform, also nichts anderes als eine webbasierte Software, die mittels ANT+ Sender eine Verbindung zu dem Rollentrainer herstellt. Die Zahl der Rollentrainer, mit denen das mittlerweile funktioniert, bewegt sich im höheren zweitstelligen Bereich. Damit es losgehen kann, platziert man vor dem Rollentrainer einen Computerbildschirm oder Laptop und startet mit dem Training.
Die Leistungsdaten der „Fahrt auf der Rolle“ werden recht genau erfasst, sodass am Ende nicht nur Kilometerzahl und eine Durchschnittsgeschwindigtkeit feststehen, sondern je nach Equipment sind auch Höhenmeter, Herz- und Trittquenz sowie Wattzahl dokumentiert.
Aber Zwift versteht sich nicht als reine Traingssoftware. Zwift will Fitness und Entertainment zusammenbringen. Zwift ist eine Fitness-Entertainment-Plattform, sagen die beiden Gründer Eric Min und Jon Mayfield in Ihrem Blog.
Die Plattform ist online und online heißt, man ist nicht allein. Mit anderen Worten man sitzt zwar allein auf der Rolle, aber auf Zwift, in der Online-Welt, kann man mit und gegen andere fahren, wenn man möchte. Seinen Online-Avatar kann man individualisieren: Trikots, Räder, Farben können frei gewählt werden. Gamification-Elemente kommen hinzu, denn so können Sprinter- und Bergtrikot erobert werden. Einen guten Eindruck vermittelt dieses YouTube-Video von Zwift:
Und in der Tat: der Funfaktor scheint extrem hoch zu sein, wenn man mal in die Weihnachtsausgabe 2015 des Velohome-Podcasts reinhört. Und noch zwei weitere Indizien sprechen für sehr viel Spaß. Viele „Zwifter“ scheinen sich regelmäßig zu verabreden, um zu festen Zeiten gemeinsam zu fahren. Hinzukommt, dass teilweise 100 km und mehr gefahren werden. 100 km auf der Rolle in den Zeiten vor Zwift? Undenkbar (zumindest für mich – aber davon gleich).
Ich bin überzeugt, dass das Radtraining auf der Rolle, um einiges effektiver ist als das Training auf der Straße. Wenn ich mir die Durchschnittsgeschwindigkeiten anschaue, mit denen auf Zwift gefahren wird, dann sind die doch deutlich höher. Klar, hier gibt es keine Ampeln und man hat auch sonst stets freie Fahrt. Aber mir scheint, hier wird mehr im roten Bereich gefahren als auf der Straße.
Meine Sache ist es nicht
Dennoch muss ich sagen: Meine Sache ist es nicht! Beruflich verbring ich viel Zeit vor dem Rechner und das mach ich gerne. Wenn ich mir jetzt aber vorstelle, auch noch während des „Radfahrens“ auf einen Bildschirm zu blicken, dann wäre genau das, der berühmte Tropfen zu viel. Ich sitzt auf dem Rad, weil ich da vom Computer abschalten kann, weil ich Lust auf Wind, Wetter und Landschaft habe, weil ich den Blick schweifen lassen will, weil ich neue Wege in meiner Stadt entdeckten möchte und und und
Trotz meiner großen digitalen Affinität, der Gamification-Elemente, die mich stets magisch anziehen – ich, Jäger und Sammler 😉 –, und des offensichtlichen Funfactors bei Zwift, will ich definitiv keine Zeit regelmäßig auf der Rolle verbringen. Meine Auffassung vom Radfahren ist eine andere.
Die Kehrseite der Digitalisierung
Schließlich habe ich bemerkt wie diese Digitalisierung durch Zwift, BKOOL und wie sie sonst noch heißen mögen, mein Verhalten geändert hat. Während ich mir vor 6 bis 8 Monaten regelmäßig die Wochenkilometer der Teilnehmer (Mitglieder) in den verschiedenen Strava-Clubs angeschaut habe, mach ich das mittlerweile nicht mehr, weil es uninteressant geworden ist.
Früher war es Motivation und Interesse zugleich. Jetzt ist dieser Blick mehr oder weniger wertlos geworden. Die digitalen Kilometer auf der Rolle mögen anstrengender sein, dennoch ist es für mich ein Unterschied, ob ich mich bei Minusgraden in warme Kleidung packe und bei Wind und Wetter draußen radle, oder ob ich schnell in ein kurzes Radtrikot schlüpfe und nach nebenan gehe, um auf der Rolle ein paar Kilometer abzuspulen.
Hinzu kommt, dass irgendwo Grenzen verschwimmen. In meiner Strava-Timeline fuhr neulich jemand eine wunderschöne Strecke in Italien, wie ich anhand der hochgeladenen Karte sehen konnte. Ich gratuliere und wünschte noch einen schönen Urlaub. Eine Reaktion des Users blieb aus. Hinterher entdeckte ich durch Zufall, dass das gar nicht in der Realität stattgefunden hatte, sondern dass das eine virtuelle Fahrt gewesen war (ich glaube, es war eine Strecke von BKOOL). Nun ja … Mittlerweile sind zumindest die Zwift-Fahrten bei Strava klar gekennzeichnet, aber seltsam ist sowas schon.
Ist sicher ein Fortschritt. Aber letzten Endes auch nur ein sehr CPU-Cyclen intensiver Wattanzeiger. Denke mal, wenn die 2 Monate Test, die jeder Strava-Premium-Nutzer hat, um sind, wird es deutlich weniger mit Zwift werden. Zumindest ich werde danach nicht auf eine Bezahlvariante bei Zwift wechseln.
Gut – da kommt dann eh das Frühjahr.
Spannendes Thema. Ich glaube ich werde in dieser Woche mal eine Lanze für Bkool brechen und dir in unserem Blog antworten und eine Gegendarstellung schreiben 😉
Aber du hast schöne Argumente aufgezählt, nur die Schlüsse daraus find ich merkwürdig.
Okay prima, da bin ich gespannt drauf, da ich zu BKOOL auch nicht allzu viel gelesen habe. Aber warum merkwürdig, Daniel?
Merkwürdig ist erstmal weit weniger wertend gemeint als es sich vielleicht anhört.
Es liegt daran, dass du aufgrund der Indoor-Trainings den Vergleich nicht mehr magst. Aber ich habe hier halt immer einen ganz anderen Ansatz verfolgt. Ich habe noch nie Kilometerleistungen verglichen, sondern immer nur Zeit.
Und eine vier Stunden Rolleneinheit ist von der mentalen Belastung durchaus auf Augenhöhe mit vier Stunden bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Meine Erfahrung 🙂
Kilometerleistungen sind von so vielen Faktoren abhängig, dass es eigentlich gar keine Aussagekraft hat. Vier Stunden Fahrrad fahren bleiben aber vier Stunden Fahrrad fahren, auch wenn sich die Intensität der vier Stunden unterscheiden kann.
Pingback: Bkool, Zwift & Co – Digital ist besser? – Coffee & Chainrings
Voila: http://coffeeandchainrings.de/2016/02/bkool-zwift-co-digital-ist-besser/
Die Kehrseite der Kehrseite der Digitalisierung 😀
jetzt weiß ich endlich, was Zwift ist. Danke für die Aufklärung.
Also ich finde das ganze sehr interessant. Ich war bei Zwift schon Beta-User und habe jetzt sogar ein Abo abgeschlossen. Meine Zeitfenster sind einfach zu klein um damit die Ziele zu erreichen die ich gerne möchte.
BKool hab ich auch getestet und gefällt mir auch. Da ich sonst viel Laufe aber aktuell nicht laufen kann bleibt viel Zeit die ich nicht mit Training verbringe. Abends bin ich gelaufen, stattdessen sitze ich jetzt auf der Rolle. Ich hab mir sogar einen Smart-Trainer gekauft und hab damit deutlich mehr Spaß, trainiere Strukturierter und auch sinnvoller.
Mir gefällt’s und es erstzt für mich nicht. Ganz ehrlich sitzt die Sehnsucht nach Draussen ständig im Nacken und wenn ich dann draussen fahren kann (am WE bei Wind und 0 Grad) ist das eine ganz andere Welt.
Wie so oft im Leben gibt’s kein Schwarz und Weiß und wer weiß damit umzugehen kann mal wieder nur gewinnen, denn diese Zeit würde mir im Radtraining sonst einfach nur fehlen.
Wie eben schon bei Daniel im Blog kommentiert: Unter dem reinen Trainingsaspekt bin ich vollkommen bei Euch. Da ist diese Art des Rollentrainings ein kurzweilige, flexible Abwechslung, mit der man gezielt Akzente setzen kann. Mir ging es mehr um den „philosophischen Aspekt“: Rollentraining ist (für mich) nicht gleich radfahren.
Und genau dieser philosophische Aspekt ist es, der uns – Joas und mich – vielleicht von denen unterscheidet, die Zwift “nutzen”.
Vielleicht sollte / muss man dafür einfach eine weitere Kategorie einführen.
Einerseits diejenigen, die das Fahrrad als Verkehrsteilnehmer sehen, der von A nach B kommen will, andererseits derjenige der es als Sportgerät ansieht und Ziele verfolgt, die auch messbar sind und sich in Zeiten, Wattzahlen oder Platzierungen ausdrücken. Da In diesem Spannungsfeld gibt es halt aber noch in der Mitte diejenigen, die sich auf dem gleichen Gefährt bewegen, die gezielt trainieren und sich verbessern wollen, deren Ziel aber eher der Spaß an der Bewegung unabhängig von Leistung ist.
Anders gesagt, die die auf der Hausrunde auch gerne mal ne Bestzeit fahren, aber dafür nicht auf den Kuchen am Vorabend verzichten.
Für diese Personengruppe ist es halt nachvollziehbar, dass man zwecks besserer Trainingssteuerung sich indoor vor einen Rechner setzt. Aber nicht erstrebenswert, da der Spaß am fahren wichtiger ist als die Verbesserung der Leistung.
Ganz klar, dieses Thema gibt es aber immer und überall. Der “Genussmensch” (das schreibe ich absichtlich in Anführungszeichen hat einen anderen Schwerpunkt. Das gibt es beim Laufen (es gibt so viele die trainieren keine Intervalle und laufen nur durch den Wald).
Letztlich ist es aber nie wirklich trennscharf. Ich fahre sehr gerne mit dem Rennrad, daran habe ich Spaß – bin draussen und komme in tolle Gegenden. Der Gewinn an Leistung reizt mich aber dennoch … aber ist nur ein kleiner Teil.
Dann fahre ich eher unspezifisch MTB, weil ich mit dem RR nicht fahren kann/will (zu viel Rollsplitt, glatt, Schnee) … das ist auch draussen, macht auch Spaß aber wenige als RR … fast wie auf der Rolle.
Und genau so sehe ich das Rollentraining, das macht wenig Spaß (aber mehr mit Zwift, Bkool & Co. anstatt 2-3h Netflix … denn es ist doch näher am richtigen radfahren) mich aber hinterher auch zufrieden, aber auf einer anderen Ebene 😉
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